Freitag, 24. Februar 2012

Imagine

Imagine there's no Heaven
It's easy if you try
No Hell below us
Above us only sky
Imagine all the people
Living for today
Imagine there's no countries
It isn't hard to do
Nothing to kill or die for
And no religion too
Imagine all the people
Living life in peace
You may say I'm a dreamer
But I'm not the only one
I hope someday you'll join us
And the world will live as one
Imagine no possessions
I wonder if you can
No need for greed oe hunger
A brotherhood of man
Imagine all the people
Sharing all the world
You may say I'm a dreamer
But I'm not the only one
I hope someday you'll join us
And the world will live as one*

Ich habe gestern zufällig die Gedenkfeier für die Opfer der Nazimorde gesehen. Wenn man mich zwei Tage vorher gefragt hätte, was ich von der Veranstaltung halte, hätte ich wahrscheinlich geantwortet: Wohlfeile Symbolpolitik. Und mich gewundert, dass sich die Angehörigen derart vereinnahmen lassen, nachdem sie jahre-, zum Teil jahrzehntelang im Stich gelassen wurden.

Ich bin buchstäblich in die Veranstaltung reingestolpert. Beim Sport und zappte mich auf dem Laufband durch das Programm - und blieb letztlich die ganzen anderthalb Stunden dabei (500 kcal :-).

Ich wurde eines besseren belehrt und bin sehr froh, die ganze Veranstaltung gesehen zu haben. Sie hat mich ehrlich tief berührt.

Klar kann man die Rede von Merkel kritisieren. Zwischendurch dachte ich, dass mir die Rede zu unpolitisch ist, zu stark auf der Gefühlseben bleibt und nicht klar genug benennt, dass es keineswegs um ein "Versagen" der zuständigen Behörden und um "Fehler" geht, sondern um systematische... ja was? Nicht-Aufklärung? Verstrickung?

(Ich war vorgestern beim Politischen Aschermittwoch. Auch da: die Nazimorde als Thema. Frage: Was wäre, wenn nicht 9 türkische und 1 griechischer Kleinunternehmer mit der gleichen Waffe ermordet worden wären sondern 10 Banker? Es hätte wohl keine 10 Morde gegeben, spätestens nach dem zweiten mit der gleichen Waffe hätte man alles daran gesetzt, die Terroristen zu finden.)

Gleichwohl hat sie die richtigen Worte gefunden, da bin ich mir nach ein bisschen Sacken lassen sehr sicher. Eines der Themen - auch des Kommentators Michel Friedmann - war: der Alltagsrassismus, die ganz alltägliche Verächtlichkeit, mit der "wir" uns von "denen" abgrenzen oder besser "die" von "uns". Und ich denke mir: Wie soll man ganz normale Leute, die sich nichts dabei denken, über "die Ausländer" zu schwadronieren, anders bekommen als auf der Gefühlsebene?

Mal abgesehen davon, war es eine Gedenkfeier. Der Opfern sollte gedacht, ihnen und ihren Familien sollte endlich Raum gegeben werden. Der Staat, der sie nicht geschützt hat, wollte sich entschuldigen.


Ehrlich gesagt finde ich Merkel durchaus glaubwürdig. Ich nehme ihr ab, dass sie sich nicht innerlich die Hände wäscht, wenn sie dem alten Türken neben sich die Hand gibt - einem Horst Seehofer dagegen merkt man an, dass er sich nicht ganz wohl fühlt inmitten so vieler schwarzhaariger Menschen mit kaum auszusprechenden Namen.

Besonders beeindruckend war der Vater eines der Opfer, wenn ich mich richtig erinnere, dem jüngsten der 10. Der Vater hatte den Mut, vor anderthalbtausend Menschen davon zu berichten, dass sein Sohn in seinen Armen starb. Statt einer materiellen Entschädigung wünschte er sich Wahrnehmung und emotionalen Beistand. Er und seine Familie haben drei Wünsche: Erstens, dass die Mörder und ihre Helfer ermittelt und bestraft werden. Zweitens wünscht er sich dass die Straße, in der sein Sohn geboren und gestorben ist nach diesem benannt wird. Zum dritten möchte er mit anderen Hinterbliebenen eine Stiftung gründen.

(Ein bisschen lustig wurde es als er der Bevölkerung von Kassel dankte sowie den Menschen in Baunatal. Die Übersetzerin kannte Kassel aber nicht Baunatal. Sie ließ das erstmal weg, er bestand aber drauf, dass sie es noch erwähnte. Sie also etwas unsicher: ... und den Menschen in... Bauerntal. Lautes Schmunzeln im Saal. Meine Schwägerin arbeitet in Baunatal, als Lehrerin in einem sozialen hotspot...)

Es ist mir schier unbegreiflich, dass dieser Mann tatsächlich davon spricht, dass er Vertrauen hat in diesen Staat, und dass die Morde nun wirklich aufgeklärt werden. Das meine ich jetzt überhaupt nicht zynisch. Ich kann es wirklich schwer nachvollziehen, nach allem, was ihm widerfahren ist.

Er erwähnte auch Wulff. Sinngemäß sagte er: "Wir verehren ihn." Wulff hat sich, das wurde erwähnt, intensiv auf diese Rede vorbereitet, mit Angehörigen gesprochen. Merkel zitierte in ihrer Rede aus einem dieser Gespräche: Einer der Angehörigen sagte: Wir möchten sein "wie normale Menschen." Kann man es fürchterlicher auf den Punkt bringen? Wie normale Menschen. Wir und die. Die und wir.

Wer kann wirklich von sich behaupten, kein bisschen rassistisch zu sein? Wer kann von sich behaupten, Alltagsrassismus und Menschenverachtung und fiese Bemerkungen immer zu parieren, sich Verächtlichkeiten zu verbitten? Worum geht es denn bei der "Integration"? Meine Töchter gehen im berühmt-berüchtigten Rütli-Kiez in die Kita. Wenn wir ehrlich sind, leben wir eher nebeneinander als miteinander. Es gibt Abgrenzung, von beiden "Seiten". Und wenig Kommunikation. Vielleicht auch wenig Interesse und Wissen umeinander.

Man könnte es natürlich auch so sagen: Es ist ein halbwegs entspanntes, normales Nebeneinander. Mit Freundlichkeit und Respekt. Das ist ja schonmal was. 

Melleni


* das Lied wurde im Rahmen der Feier gespielt - ist natürlich ein alter, fast schon kitschiger Klassiker der Popmusik. Aber ist er deshalb falsch?


5 Kommentare:

  1. Danke für deinen differenzierten Bericht und deine Interpretation. Ja, ich kann nachvollziehen was du (speziell im letzten Teil) schreibst. Ja, das ist schon mal was. Aber der nächste Schritt sollte kommen; den könnte jede und jeder jetzt mal versuchen.
    Einen schönen Tag
    Mema

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  2. Dein Bericht hat mich wesentlich mehr berührt als die doch sehr selektive Berichterstattung gestern. Ich konnte den ganzen Tag nur Radio hören und da wurde das auf allen Sendern eher kurz abgehandelt mit "Frau Merkel hat sich entschuldigt". vielen Dank für die Schilderung Deiner Eindrücke, das macht mir die Veranstaltung auch wesentlich sympatischer.
    Und der letzte Teil ist schwierig. Wir sind auch in einer recht gemischten Kita (sowohl die Kinder als auch die Erzieher(innen)) und das ist nett und völlig normal, aber beim Thema Schule komme ich da ganz ehrlich schon ins Grübeln...
    Liebe Grüße,
    Christiane

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  3. Auch von mir vielen Dank für den differenzierten Bericht, ich hatte kaum etwas mitbekommen. Wenn ich herumblicke sehe ich so viele Grauzonen, deshalb vielen Dank für dein Nachdenken jenseits der Schwarz-Weiß-Malerei.

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  4. Danke für den Einblick. Ich nehme das politische Tagesgeschehen selten wahr...
    Wir sind Lichtjahre entfernt von einem Miteinander auf diesem Planeten, in diesem Land. Als Jesus von Nazareth vor 2000 Jahren sagte: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.", fragte man zurück "Wer ist denn mein Nächster?". Wir winden uns raus. Immer noch. Wir sind alle Kinder dieser Erde. So einfach ist das.
    Die Menschen im kleinen Kaff begegnen uns ausgrenzend. Man ist hier xenophob. Ich bin käseweiss und spüre es dennoch. Wie lebt man hier, wenn die Haut dunkler ist?
    Solche Veranstaltungen bleiben mir suspekt. Zu spät um Respekt zu zollen. Zu "billig" um zu versöhnen.
    Deutsche Staatsbürgerschaft für alle, die sie wollen. Grundsicherung für alle, die sie brauchen. Einreise für alle, die dem Elend entfliehen wollen. So einfach ist das.
    LG, Bronte

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  5. Wie sehr du mir mit deiner Meinung aus dem HE
    erzen sprichst - Mal wieder. Ich arbeite in einem Haus mit ständig wechselnder Belegung. Und soviele Menschen haben mir viel zu geben - und dann gibt es Menschen, bei denen ich unglaublich schlucken muss, wütend werde und mich zusammenreißen muss, "gleich" zu behandeln. Ich sag meine Meinung. In kurzen Worten und nenne Gründe, weshalb die "andee" MEinung vielleicht überdacht werden sollte. Meist stoße ich auf taube Ohren. Und dann werde ich manchmal ein bisschen rassistisch und spreche zu Hause oder bei Freunden "von denen", die ihre Meinung von einschlägigen (Tv-)Magazinen haben, "von denen" die wahllos nachplappern ohne mitzubekommen, wie manipuliert sie sind und "von denen", die ich einfach saudoof finde. Ja doch, dann bin ich schon rassistisch!

    Liebe Grüße,
    Pauline

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